Regionales Brauchtum: Biikebrennen
Der Begriff ‚Biike‘ kommt aus dem Friesischen und hat die Bedeutung von Zeichen, Feuer, Feuermal, Feuerzeichen, Bake oder Seezeichen. In Nordfriesland gehört das Biikebrennen in der nordfriesischen Gemeinschaft zu den regionalen Bräuchen, die an der Küste, auf den Inseln und Halligen in jedem Jahr, nämlich am 21. Februar, am Vorabend des Petritages gepflegt werden. Abschnitt von Bäumen und Büschen, Holzreste, Grünschnitt, alte Weihnachtsbäume und sonstiges Brennmaterial werden zu einem großen Haufen geschichtet und für die Biike vorbereitet. Sobald die Biike-Ansprache durch den Bürgermeister oder Gemeindevorsteher beendet ist, wird das Kommando „Tjen di Biiki ön!“ („Zündet die Biike an!“) vernehmbar und mehr als 60 Biiken werden – weithin sichtbar – in den vielen Küstenorten zwischen Tönning und Sylt entfacht (Jakob Tholund, in: Steensen, 2000).
Christian Peter Hansen, Sylter Lehrer, Zeichner und Chronist, beschreibt die Funktion des Sylter-Biikebrennens als eine Handlung mit religiösem Hintergrund: „In alter heidnischer Zeit war ohne Zweifel das Biikebrennen auf den heiligen Hügeln und der nächtliche Tanz rings um das Feuer der Hauptact dieses Frühlings- und Abschiedsfestes der Sylter, galt als eine religiöse Handlung, wobei das Volk den obersten seiner Götter, den Kriegs- und Siegesgott Weda (ohne Zweifel identisch mit Wodan und Odin), mit den bekannten Worten: ‚Vikke tare! Vikke tare!‘ (Weda zehre! nimm unser Opfer an!) und: ‚O Wia wakket nei!‘ (O Weda weiche nicht!) anrief, um Glück im Kriege und auf den bevorstehenden Seereisen zu erhalten“ (Hansen, 1860, S. 53).
Eine ähnliche Auffassung vertrat der nordfriesische Lehrer und Heimatforscher Christian Jensen (1857 – 1936). Er charakterisiert die Biiken als Opferfeuer, welche im 17. Jahrhundert dem obersten Kriegsgott Wodan zu Ehren auf dafür eigens errichteten Hügeln und Altären entfacht wurden. „Das am Abend des 21. Februar angefangene Opferfest bildete zugleich den Abschluss der Winterfreuden, die mit dem Erntefest im Herbst, nachdem die Seefahrer wieder heimgekehrt waren, anfingen und bei der Feier des Jööl- oder Julfestes (im December) ihren Höhepunkt erreichten. Das Opferfeuer, Biiken, war zweifellos in heidnischer Zeit der Hauptakt der Frühlingsfeier“ (Jensen, 1891, S. 354).
Die Ursprünge des Biikebrennens
Als heidnisches Frühjahrsritual praktiziert lassen sich die Ursprünge des Biikebrennen bis in die vorchristliche Zeit zurückverfolgen, in der die Menschen oft noch mit einer recht lebensfeidlichen Umgebung konfrontiert waren und der Kampf gegen die Naturgewalten eine zentrale Rolle spielte. Somit zählen die Biiken zu den ältesten Traditionen, die zunächst nur von den Inseln Sylt, Amrum, Föhr, Pellworm und den Hallligen ausgingen. Auf Sylt und den anderen Inseln hatten sie den Charakter eines Volksfestes, gerieten allmählich fast in Vergessenheit und wurden erst durch C. P. Hansen (1803 – 1879), einem Sylter Lehrer, Küster, Heimatforscher und Chronisten, gegen Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts auf phantasievolle Art wieder populär gemacht. Im 20. Jahrhundert setzte sich das Feuerfest zunehmend auch auf dem Festland durch.
Somit geht die Biike über den Charakter eines gewöhnlichen Feuerfestes hinaus. Sie symbolisiert eine Art Erneuerung, ist ein Gemeinschaftsereignis, Zeichen der kulturellen Identität, kennzeichnet den Übergang zum Frühling und ist eine der ältesten Traditionen Nordfrieslands. Zudem waren die langen Winter in den Küstenbereichen häufig eine schwierige Zeit, deren abweisende Schärfe alles andere als Behagen entstehen ließ. Eisige Winde, lange Dunkelzeiten des Tages, rauhe, stürmische Nächte und die ständigen Bedrohungen möglicher Ernteausfälle waren dessen grimmige Begleiterscheinungen. Auch glaubte man, dass der Winter von Geistern und bösen Mächten beherrscht werde, die man gegen Ende der dunklen, kalten, harten Periode vertreiben und beenden müsse. Nun galt es, mit den großen Biiken nicht nur den Frühling herbeizurufen, gleichzeitig symbolisierte man mit dem Feuer Reinigung, Erneuerung und Wandlung.
Hubertus Jessel (1915 – 2008), ehemals Lehrer und Konrektor einer Sylter Realschule , lässt seinen Großvater mit dessen eindruckvoller Beschreibung zu Wort kommen: „Wenn dann der 21. Februar gekommen war, ging es gleich nach der Schule los. Das Holz wurde zusammengefahren und außerhalb des Dorfes auf dem seit altersher dafür bestimmten Hügel zu einem hohen Berg aufgeschichtet. Die Schichtung war außerordentlich kunstvoll, denn mancherlei musste dabei beachtet werden: Die Biike musste mit einem Schlage in vollen Flammen stehen! Die Biike musste heller brennen als die Feuer der Nachbardörfer! Die Biike musste länger brennen als die Feuer der Nachbardörfer! – Immer wurde eine Kanne Petroleum bereitgestellt, und an der Windseite schob man mehrere Bund Stroh unter den Reisighaufen. Es war ein ehrgeiziger Wettbewerb unter uns ‚Biikemachern‘ – Dorf gegen Dorf -, und wir hätten uns wohl zeitlebens schämen müssen, wenn unser Feuer nicht das stolzeste auf der Insel gewesen wäre oder wenn es trotz nassen Wetters nicht sofort lichterloh gebrannt hätte.“ (Hubertus Jessel, in: Schulz 1957, S. 82 – 83)
Legendenbildung: Das Biikebrennen als Abschiedsgruß an die Walfänger
Schon im 19. Jahrhundert leuchteten sie in die Nacht und wurden als „Abschiedsfeuer den ausfahrenden Seeleuten nachgesandt“ (Schulz, Hans Hermann u.a., 1957). Denn für den größten Teil der Männer auf den Inseln und Halligen begann zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert im späten Winter oder frühen Frühjahr die Walfangsaison. Die Schiffe brachen nach Grönland und Spitzbergen auf, um für viele Wochen und Monate auf hoher See zu bleiben. Das Biikebrennen demnach zu einem feierlichen Abschiedsritual, an dem sich die Dorfgemeinschaften versammelten, um den Männern Mut und Zuversicht zu vermitteln. Mit den lodernden Feuern habe man den Seeleuten Licht und Schutz mitgeben und den Weg weisen wollen.
Das Nordfriisk Instituut geht hier von einer reinen Mythenbildung aus und betrachtet diese Interpretation der Biike freilich als reines Phantasieprodukt. Ebenso verhalte es sich mit der Vorstellung, dass es sich bei den Biiken um die Verehrung des Gottes Wodan (in der nordischen Mythologie: Hauptgott der eddischen Dichtung, Göttervater, Kriegs- und Totengott, auch Gott der Dichtung, Runen, Magie und Ekstase) handele, ebensowenig um die „Abschiedfeuer für die auf Walfang auslaufenden Seeleute“ oder das Initiieren eines ’nationalen‘ Feuers gegen das Eindringen der ’neuen‘ Zeit (Nordfriisk Instituut: Biikebrennen, abgerufen am 25.02.2025).
Waren die Biiken in früherer Zeit noch Ausdruck eines religiösen oder heidnischen Feueropfers zur Vertreibung von Geistern und bösen Mächten, die zunehmend mit kirchlichen Ritualen überlagert oder umgedeutet wurden, so hat sich ihre Bedeutung über die Jahrhunderte stark gewandelt.
Heute ist das Biikebrennen weit mehr als ein traditionelles Feuerfest. Es verbindet Menschen, fördert den Austausch zwischen den Generationen und Nachbarschaften, vor allem ist es ein geselliges Ereignis, das Menschen aller Altersgruppen und sozialer Hintergründe zusammenbringt, Tradition, soziales Miteinander, Zusammengehörigkeitsgefühl und Identität in der Gemeinschaft stärkt. Zunehmend finden sich auch Besucher und Urlauber ein, die das Biikefeuer als authentischen Teil der lokalen Kultur erleben und feiern.
Quellen und weiterführende Informationen
- Hansen, Christian Peter: Der Sylter-Friese. Geschichtliche Notizen, chronologisch geordnet und benutzt zu Schilderungen, der Sitten, Rechte, Kämpfe und Leiden, Niederlagen und Erhebungen des Sylter Volks in dem 17. und 18. Jahrhundert, S. 50 – 54, Ernst Homann Verlag, Kiel 1860
- Jensen, Christian: Die Nordfriesischen Inseln Sylt, Föhr, Amrum und die Halligen vormals und jetzt. Mit besonderer Berücksichtung der Sitten und Gebräuche der Bewohner, S. 354 – 362, Verlagsanstalt und Druckerei Aktiengesellschaft, Hamburg 1891
- Jessel, Hubertus: Biikebrennen und Petritag, S. 82 – 83, in: Schulz, Hans Hermann u. a.: Das Heimatbuch der Nordfriesen, zusammengestellt unter Mitarbeit vieler Heimatkundiger von Dr. Hans Hermann Schulz, Thordsen Verlag, Hamburg 1957
- Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim und Pelc, Ortwin (Hrsg.): Das Neue Schleswig-Holstein Lexikon, Wachholtz Verlag, Kiel/Hamburg 2006
- Steensen, Thomas (Hrsg.): Das große Nordfriesland-Buch, Ellert & Richter Verlag, Hamburg 2000
- https://www.unesco.de/staette/ Biikebrennen/ Immaterielles Kulturerbe: Bikebrennen (abgerufen am: 25. Februar 2025)
- https://www.ndr.de/ratgeber/reise/nordseekueste_sh/ Biikebrennen-2025-Wo-die-Feuer-an-der-Nordsee-lodern,biikebrennen4.html (abgerufen am: 25. Februar 2025)
- https://www.nordfriiskfutuur.eu/nordfrieslandlexikon/ Biikebrennen/ (abgerufen am: 25. Februar 2025)
- https://www.sylt.de/veranstaltungen/ Biikebrennen (abgerufen am: 25. Februar 2025)
- Erweitertes Literaturverzeichnis: Literaturverzeichnis